Die Photothek im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Nur selten wird im Kunst- und Kulturbetrieb der Blick auf fotografische Arbeiten gerichtet, die nicht zu den etablierten Kategorien wie Kunst, Mode, Reportage oder Werbung gehören. Dabei existiert in Deutschland eine stattliche Anzahl von Archiven mit einer ebenso stattlichen Zahl von Fotografien in denen diese unter kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten gesammelt, bewahrt und erschlossen werden.

München, Meiserstraße 10 – ein antikisierender Monumentalbau aus der NS-Zeit, der zusammen mit dem  „Führerbau“ den Königsplatz östlich abschließt. Der Platz wird  von einer imposanten Replik der Propyläen in Athen dominiert.

In dem früheren Verwaltungsbau der NSDAP sind heute das Institut für Klassische Archäologie, jenes für Ägyptologie (beide LMU München), das Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke sowie das Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) angesiedelt. Letzteres ist hervorgegangen aus einer von der amerikanischen Militärregierung nach Kriegsende eingerichteten Sammelstelle für die Rückführung der von den Nationalsozialisten erbeuteten Kunstwerke (Central Art Collecting Point) und nimmt 1947 seine Tätigkeit auf.  Neben den vielfältigen Aufgaben, die das Institut als einzige außeruniversitäre kunsthistorische Forschungseinrichtung in Deutschland mit internationaler Ausrichtung inne hat, beherbergt es eine der größten Kunstbibliotheken weltweit. Des weiteren gehört zu ihm, nach dem Vorbild der Bibliotheca Hertziana in Rom und dem Kunsthistorischen Institut in Florenz, die so genannte Photothek, vormals Abbildsammlung genannt.

Die Photothek wurde stets als eigenständige Abteilung geführt und wird seit dem Jahr 2000 von Dr. Stephan Klingen geleitet. Die Bestände in sind in einer systematischen Freihandaufstellung öffentlich zugänglich: mehr als 800.000 Aufnahmen, davon rund 700.000 Schwarzweiß-Abzüge, 30.000 Negative und etwa 75.000 Farbdiapositive unterschiedlichster Provenienz. Den größten Zuwachs erfuhr die Sammlung in den Jahren 1961 bis 1975  in einem von der Fritz Thyssen Stiftung finanzierten Projekt zum Aufbau einer zentralen Fotodokumentation zur deutschen Kunst. Etwa 250.000 Bilder konnten in diesem Zeitraum angekauft werden.

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Foto: Sopr. Gall. Firenze, Aufnahme um 1942 © Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Phototek, München

Besteht ein Ziel des Instituts darin, europäische Kunstgeschichte zu erforschen und zu dokumentieren, so gilt dies auch für die Photothek mit ihren drei wesentlichen Sammlungsgebieten: „Architektur und Städtebau“, „Werke der bildenden Kunst“ sowie „Illuminierte mittelalterliche Handschriften“. Dabei liegt bei den Architekturaufnahmen von Sakral- und Profanbauten bis dato ein Schwerpunkt auf Deutschland und Frankreich. In den Bereichen Malerei und Skulptur wird hingegen die gesamte westeuropäische Kunstgeschichte abgedeckt.  Der Zeitraum reicht jeweils von der Gotik bis zum Beginn der Moderne. Problemlos lässt sich somit durch mehrere Jahrhunderte Stilgeschichte streifen, wobei die vielen Detailansichten mancher Objekte oft ein genaueres Studium ermöglichen, als es vor Ort möglich wäre.

Eine Besonderheit innerhalb der Sammlung stellen jene Fotografien dar, mit denen die Nationalsozialisten ihre Beutekunst dokumentierten. Sie sind über den Central Art Collecting Point (CCP) in den Bestand eingeflossen und dienen heute unter anderem der Provenienzforschung, da vielfach auf dem Trägermaterial der Bilder der frühere Standort der Kunstwerke notiert ist. Ebenfalls über den CCP gelangte eine umfangreiche Fotosammlung zu Werken, die im „Haus der Deutschen Kunst“ in München ausgestellt worden waren, an die Photothek. Mit circa 13.000 Aufnahmen aus den Jahren 1938 bis 1943 liefern die in Alben eingeklebten Abzüge einen einzigartigen Überblick über die Kunst der NS-Zeit. Neben diesem wird der Kern der Sammlung noch durch verschiedene andere Sonderbestände erweitert. Hierzu gehören ein noch unbearbeitetes Konvolut zum deutschen „Kunstschutz“ in Italien sowie das

„Farbdiaarchiv der Wand- und Deckenmalerei 1943 – 1945“. Die rund 40.000 Farbdiapositive von Wand- und Deckenmalereien entstanden im Auftrag des nationalsozialistischen Regimes. Angesichts drohender Zerstörung sollte eine Fotokampagne die wandfeste Ausstattung aller bedeutenden Baudenkmäler im „Großdeutschen Reich“ in Farbe dokumentieren. Mehr als 50 namhafte Fotografen aus diversen Sparten, darunter der etablierte Bildjournalist Dr. Paul Wolff, der Hochschulprofessor Walter Hege und der Kunsthistoriker Carl Lamb, waren an dem Projekt beteiligt. Ihre Bilddokumente aus 485 Bauwerken wie der Frauenkirche in Dresden oder der Akademie der Bildenden Künste in Wien überliefern in hoher Qualität die letzten, oft die einzigen farbigen Ansichten historisch und kunsthistorisch wertvoller Bau- und Kunstwerke vor ihrer Beschädigung oder Zerstörung. Die Sammlung des Frankfurter Kunsthändlers Schrey wiederum bietet 20.000 Bildnachweise zu heute weitgehend in Vergessenheit geratenen deutschen Malern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Darin wird meines Erachtens auch ein besonderer Wert der Fotosammlung deutlich, der in der Überlieferung von nicht mehr erhaltenem oder unzureichend dokumentierten Kulturgut liegt. Dabei sind die Bestände der Photothek mit ihren überwiegend kunstgeschichtlichen Inhalten komplett inventarisiert. Sie sind jedoch nicht vollständig erfasst bzw. erforscht, noch weniger unter fotohistorischen Aspekten. So kann man bei einem Besuch derselben noch auf Fundstücke treffen wie unter dem Bereich Topographie/Italien/ Neapel, wo nicht nur Aufnahmen von Baudenkmälern lagern, sondern auch Stadtansichten von dem heute international angesehenen Fotografen Giorgio Sommer, die nunmehr (Foto-)Museumsstatus besitzen. Die Photothek hält also nicht nur Anschauungsmaterial bereit, sondern eventuell auch kleine fotohistorische Entdeckungen.

Gelegentlich finden auf den Ebenen des ZI Ausstellungen mit Fotografien aus der Sammlung statt. Am besten ist darüber im Internet auf der Website des ZI zu erfahren (www.zikg.eu). Hier stehen auch die Öffnungszeiten der Photothek.

Das oben erwähnte Farbdiaarchiv ist vollständig digitalisiert und unter www.zi.fotothek.org zugänglich.

Roswitha Salzberger
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Reihe »Spezialarchive« in PHOTONEWS März 2009.