Nachlass Sibylle Bergemann

Künstlernachlässe sind seit ein paar Jahren nicht nur stärker im Fokus der Öffentlichkeit, sondern auch zunehmend ein Thema für Galerien. Das kann eine Erweiterung der Galeriearbeit sein oder auch ein neues Geschäftsfeld. „Für den Markt sind die Nachlässe bisher übersehener Künstler eine neue Nachschubquelle“ schrieb Tim Ackermann Anfang 2016 in der ZEIT. Die Fotografin Sibylle Bergemann (1941-2010) ist sicher keine übersehene Künstlerin, aber auch bei ihr stellte sich die Frage, was mit dem Nachlass geschehen soll. Anfang 2015 gab die Berliner Loock Galerie die Vertretung des Nachlasses bekannt. Fragen an Friedrich Loock und die Kunsthistorikerin Katia Reich.

Anna Gripp/Photonews: Wie kam es dazu, dass die Loock Galerie die Vertretung des Sibylle Bergemann-Nachlasses übernommen hat?

Mit dem frühen Tod von York der Knoefel 2011 wurde das Thema „Vertretung von Künstler-Nachlässen“ überraschend Teil der Galeriearbeit. Über die Nachlassvertretung von Knoefel enstand der Kontakt zu Sibylle Bergemanns Tochter Frieda von Wild. Daraus ergab sich die Vereinbarung einer Kooperation bei der Nachlassaufbereitung und -vertretung, denn interessanterweise waren Knoefel und die Fotografin und Modedesignerin Frieda von Wild in den 1980ziger Jahren befreundet und tauschten sich über ihre fotografischen Themen aus. Arno Fischer und Sibylle Bergemann waren für Knoefel seinerzeit wichtige Mentoren und sicherten ihm, als Autodidakten, durch die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler seine Existenz und Karriere als bildender Künstler in der ehemaligen DDR.
Frieda von Wild und die Loock Galerie setzen sich neben der Sichtung, Aufbereitung und Sicherung des Nachlasses von Bergemann, das Lebendighalten und die weltweite Positionierung zum Ziel.

Sibylle Bergemann, Berlin, 1990. © Nachlass Sibylle Bergemann / OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Wir hätten den Nachlass zu gegebener Zeit eher in einer öffentlichen Institution wie z. B. der Berlinischen Galerie oder dem Museum der bildenden Künste Leipzig erwartet. Passt das Thema Nachlass zu einer kommerziellen Galerie?

Der Nachlass ist Eigentum der Tochter Bergemanns, Frieda von Wild, und es stand nicht zur Debatte, diesen an eine Institution zu geben. Frieda von Wild, zusammen mit ihrer Tochter Lily von Wild, sind die Expertinnen des Werkes. Die Bildrechte werden weiterhin von der Agentur Ostkreuz, deren Gründungsmitglied Bergemann 1990 war, vertreten. Die Loock Galerie fungiert als Scharnier zwischen den Eigentümern und institutionellen Partnern sowie anderen Galerien wie Kicken Berlin, die seit 2009 Fotografien von Sibylle Bergemann international präsentiert.  Die fachliche und technische Kompetenz der Loock Galerie, die für die digitale Erfassung der Abzüge sowie die strategische Positionierung des Werkes weltweit notwendig ist, war für Frieda von Wild ein überzeugender Aspekt für die Zusammenarbeit.  Die von der Loock Galerie vertretenden internationalen Fotografen, wie Alec Soth, Charlie White und Miwa Yanagi, kontextualisieren das Werk Bergemanns im internationalen und zeitgenössischen Rahmen.

Sibylle Bergemann, Dakar, Senegal, April 2010. © Nachlass Sibylle Bergemann / OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Welche konkreten Schritte wurden bisher unternommen?

Der erste Schritt der Zusammenarbeit zwischen Nachlass und Loock Galerie war und ist die Sichtung, Bestandssicherung und Erfassung der Abzüge. Das Œuvre international in Ausstellungen, Museen und Publikationen lebendig zu halten, ist einer der nächsten Schritte. Die Sichtbarkeit, die der Kunstmarkt durch sein internationales Netzwerk von Galerien, deren Präsenz auf  Messen und deren Öffentlichkeitsarbeit, erreicht, sollte nicht unterschätzt werden. Die nachhaltige Platzierung in musealen Zusammenhängen ist oberste Priorität bei der Nachlassvertretung von Sibylle Bergemann.

Und die Abzüge und Negative werden von Frieda von Wild aufbewahrt?

Der überwiegende Teil des Nachlasses ist bei der Eigentümerin. Bei uns in der Galerie befindet sich eine repräsentative Auswahl von Abzügen, mit der wir arbeiten.

Für eine Galerie und auch für eine Erbin kann der Verkauf von Abzügen eine wichtige Rolle spielen, zugleich wird man bei einem Nachlass auf den Zusammenhalt des Werkes achten. Wie lässt sich beides in Einklang bringen? Durch Neuabzüge?

Im Nachlass wird eine möglichst vollständige Auswahl von Abzügen bestehen bleiben, die einerseits repräsentativ für die Forschung und andererseits für Sammlungen zur Verfügung steht. Die Digitalisierung ermöglicht darüber hinaus die Zugänglichkeit auch für wissenschaftliche Zwecke, die nicht lokal gebunden ist. Um auch weiterhin eine möglichst vollständige Darstellung des Werkes Bergemanns in der Öffentlichkeit zu garantieren, entstehen ab diesem Jahr analog hergestellte posthume Abzüge in exklusiver Auflage, die zum Verkauf und für Ausstellungszwecke zur Verfügung stehen.

Ist auch eine stärkere Präsenz des Nachlasses im Internet geplant?

Eine eigene Website zum Werk Sibylle Bergemanns befindet sich im Aufbau.

Selbstportrait Sibylle Bergemann, ca. 1988 © Nachlass Sibylle Bergemann / OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie

Sibylle Bergemann und Arno Fischer waren ein Paar und werden auch als Fotografen oft zusammen wahrgenommen. Gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Nachlass, mit der Familie von Arno Fischer?

Arno Fischer hatte die erste Professur für künstlerische Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig inne und zählt neben Ursula Arnold und Evelyn Richter zu der ersten Generation von Fotografen in der DDR. Bergemann war 14 Jahre jünger als ihr Ehemann und hat sich als seine Schülerin künstlerisch eigenständig etabliert.
Da Friedrich Loock schon zu Lebzeiten von Fischer Fotografien an eine amerikanische Sammlung vermittelt hat und mit dem Œuvre gut vertraut ist, handelt die Loock Galerie auch mit Arbeiten von Arno Fischer. Zu den Erben des Nachlasses von Arno Fischer besteht Kontakt.

Bei der kommenden Messe Paris Photo wird die Loock Galerie das Werk von Sibylle Bergemann präsentieren, parallel erscheint eine Monographie im Kehrer Verlag. Welche Akzente wollen Sie hier setzen?  

Wir halten die künstlerische Fotografie der ehemaligen DDR für grundsätzlich unterbewertet. Die Ausstellung  „Geschlossene Gesellschaft, Künstlerische Fotografie in der DDR 1945-1989 “, die 2012 in der Berlinischen Galerie zu sehen war, hat einen Grundstein bei der Wahrnehmung dieser Epoche gelegt. Die Messe Paris Photo ist für uns der ideale Ort, ausgewählte Positionen der Fotografie der ehemaligen DDR in einem internationalen Kontext zu präsentieren. Wir zeigen hier Vintages und Handabzüge von Sibylle Bergemann in Gegenüberstellung mit der sozialkritisch motivierten Installation „Schlachthaus Berlin 1986-1988“ von Knoefel. Das Buch zu Sibylle Bergemann erscheint anlässlich ihres 75. Geburtstages im Herbst 2016 und wird bekannte und neu zu entdeckende Bilder vorstellen.

Kontakt: www.loock.info

Der Beitrag erschien erstmals in PHOTONEWS 10-2016.