Nachlass Peter Keetman

Es gibt Fotografen, deren Werk fest zum Kanon der Fotokultur gehört und doch nur Wenigen in der Tiefe bekannt ist. Das trifft auf das Werk von Peter Keetman (1916 – 2005) zu und könnte sich 2016 ändern. Zum 100. Geburtsjahr wird seine fotografische Arbeit mit einer umfassenden Ausstellung gewürdigt – zum Auftakt im Museum Folkwang in Essen und später im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen. Weitere Stationen folgen ab 2017.  Ein Buch erscheint bei Steidl. Zugleich kann zu Peter Keetman eine besondere „Archiv-Geschichte“ erzählt werden, die mit zwei Institutionen bzw. Initiativen verbunden ist.  

In der Stiftung F. C. Gundlach wird oft angefragt. Fotografen oder deren Erben melden sich und hoffen auf eine Lösung für ihr Archiv, für einen Nachlass. Diese Anfragen haben zugenommen, seit F. C. Gundlach vor zehn Jahren, zu seinem 80. Geburtstag, zur Gründung einer „Stiftung Deutsche Fotografie“ aufrief, die sich der Bewahrung von  Nachlässen  deutscher  Fotografen widmen sollte. Auch wenn sich diese Stiftung so nicht realisieren ließ, sind F. C. Gundlach und sein Team weiter sehr aktiv in Sachen fotografische Nachlässe. Einzelne Konvolute werden in Hamburg betreut, zudem startete man 2012 mit dem Projekt „Archiv der Fotografen“ eine Kooperation mit der Deutschen Fotothek in Dresden.

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Peter Keetman, Selbstbildnis, 1957. © Stiftung F.C. Gundlach

Im virtuellen „Archiv der Fotografen“ lassen sich aktuell 77 Bilder von Peter Keetman aufrufen, darunter beispielsweise die verschiedenen Öltropfen-Bilder aus den 1950er Jahren. Unter jedem Datensatz steht: Eigentümer: Stiftung F. C. Gundlach. Und auch bei den Bildrechten der Hinweis auf die Stiftung. F.C. Gundlach wurde im Testament von Peter Keetman als Erbe bedacht, was letztlich den Schlusspunkt einer Kooperation verdeutlichte, die in den 1970er Jahren ihren Anfang nahm.

F. C. Gundlach nahm seinerzeit Kontakt zu Peter Keetman auf, der als Mitglied der 1949 gegründeten Gruppe fotoform und Vertreter der subjektiven fotografie rund um Otto Steinert längst zu den wichtigsten Persönlichkeiten der deutschen Fotografie zählte. Keetman, der von 1935 bis 1937 die Münchner Fotoschule besuchte und ebendort nach  Kriegsende auch den Meisterkurs abschloss, hatte sich mit seinen innovativen freien Arbeiten einen Namen gemacht. Erfolgreich fotografierte er zudem im Auftrag unter anderen für Bahlsen, Hipp, Lindt, Stollwerck, Gubor und Erdal.

Die Bilder des zehn Jahre Älteren hatten F. C. Gundlach schon begeistert, bevor er selber seine Karriere als Fotograf begann. In den 70er Jahren konnte er sich an Peter Keetman nicht nur als Kollege, sondern auch als Galerist wenden. Nach Gründung der Firmen CC (Creative Color) und PPS (Professional Photo Service) erweiterte F. C. Gundlach sein Unternehmen 1975 mit der PPS Galerie. Ab 1982 stellte er hier auch die Fotografien von Peter Keetman aus.

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Peter Keetman, Baustelle Marienplatz, München 1954. © Stiftung F.C. Gundlach

Zu der Zeit war es ein mühsames Unterfangen, mit fotografischen Originalen zu handeln. Im Rückblick erscheinen die damaligen Preise lächerlich gering. Aber ein Anfang war gemacht und auch für Peter Keetman bot sich damit die Perspektive, mit seinen freien Arbeiten Geld zu verdienen. Die PPS Galerie brachte Arbeiten von Keetman 1980 zur New Yorker Fotokunstmesse der AIPAD und stellte sein Werk 1995 in der Howard Greenberg Gallery in New York aus. 1988 gab F. C. Gundlach unter dem Titel „fotoform“ im Berliner Nishen Verlag eine Monographie zu Peter Keetman heraus. In Kooperation mit der PPS Galerie bot Photonews im Jahr 1994 eine Fotografie von Peter Keetman als Edition an: „Eisglocken, 1961“ (22,5 x 30 cm) für 600 DM.

Die Spätfolgen der Beinamputation als Folge einer Kriegsverletzung schränkten Peter Keetman zunehmend ein, hinderten ihn aber nicht daran, bis zuletzt zu fotografieren. Doch die Kameras und sein Aktionsradius wurden kleiner. Er fotografierte in seiner unmittelbaren Umgebung und fand auch hier seine Motive, die im Kleinen, im Einfachen Grundsätzliches vermitteln können. „Mit seinen Aufnahmen eröffnet er uns eine Sicht auf die Welt , die uns ohne ihn verborgen geblieben wäre. Vor allem aber sind seine Fotografien gestaltete Kunstwerke, auch wenn er in aufrichtiger Bescheidenheit immer wieder darauf verweist, dass er nur wiedergeben kann, was in der Welt bereits angelegt ist“, schreibt Sebastian Lux, Geschäftsführer der Stiftung F. C. Gundlach, in dem Buch, das nun zum 100. Geburtstag erscheint.

Als Peter Keetman 1995 umzieht,  drängt sich die Frage nach dem langfristigen Verbleib seines umfangreichen Archivs auf. Kein Ort scheint passender als das Museum Folkwang in Essen, befindet sich doch hier dank Otto Steinert das weltweit größte  Konvolut zur subjektiven fotografie der deutschen Nachkriegszeit. Ute Eskildsen, damals Leiterin der fotografischen Sammlung, hat Interesse, diesen Sammlungsschwerpunkt zu vertiefen. Und so kommt es 1996 zum Verkauf sämtlicher Negative. Hinzu kommen Kontaktbögen, (Arbeits-)Prints und Veröffentlichungsbelege. 100.000 DM wurden seinerzeit bezahlt. Ein Glücksfall für diesen Nachlass, schließlich sind Museen heutzutage immer weniger bereit, Negativarchive zu übernehmen.
Die meisten (Vintage-)Abzüge befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch bei Peter Keetman bzw. bei   F. C. Gundlach. Mit Keetmans Tod gehen Werk und Rechte an die Stiftung F. C. Gundlach über. Weitere Prints erhält Peter Keetmans Tochter und später seine Enkelin.

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Peter Keetman, Sand auf Glasscheibe, 1960. © Stiftung F.C. Gundlach

Nach Peter Keetmans Tod tauchen seine Bilder vermehrt im Kunstmarkt auf. Der Fotograf war nicht nur überaus produktiv, sondern auch großzügig, verschenkte oft Abzüge. F. C. Gundlach gibt seit Keetmans Tod keine Arbeiten mehr in den Handel, sondern ist bedacht, das Werk zu schützen. „Ich habe mich immer als Sachwalter seines Werkes gesehen und mich bemüht, es wie versprochen behutsam einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, schreibt er im neuen Buch.

Dass der Nachlass von Peter Keetman sich heute in Essen und Hamburg befindet, ist eher ungewöhnlich. Aber wenn, wie in diesem Fall, beide Institutionen gut kooperieren, kann das auch von Vorteil sein. Die Stiftung F. C. Gundlach hat die Ausstellung und das Buch zum 100. Geburtstag vorangetrieben und vorfinanziert (Ausstellungsübernahmen werden dann später die Kosten decken). Das Museum Folkwang ist nicht nur die renommierteste und beste Institution für den Start der Ausstellung  – gemeinsam wurden das Schwarzweiß-Archiv gesichtet sowie Ausstellung und Buch erarbeitet. Florian Ebner, Leiter der fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, lässt sich auch von einem Negativ-Archiv begeistern und ist fasziniert zu sehen, wie Keetman „mit einem Motiv ringt“. Sein Beitrag im neuen Buch: „Da geht’s zu wie am Stachus. Oder wie lässt sich bildnerisch eine Idee vom Aufbruch vermitteln“. Seine Kollegin Petra Steinhardt wiederum schreibt über „Tangenten zwischen freier und gebrauchsorientierter Fotografie bei Peter Keetman“.

Ca. 44.500 Negative und 5.500 Prints (überwiegend in 18 x 24 cm) im Museum Folkwang sowie 6.000 Prints in der Stiftung F. C. Gundlach umfasst der Nachlass von Peter Keetman. Auch wenn noch nicht alles gesichtet wurde (die Aufarbeitung der Farbbilder steht noch aus), wird nun zum 100. Geburtstag ein Einblick in die Tiefe und Vielschichtigkeit eines herausragenden Werkes geboten.

Anna Gripp

Der Beitrag erschien erstmals in PHOTONEWS 6-2016.

Die Ausstellung „Peter Keetman: Gestaltete Welt – Ein fotografisches Lebenswerk“ wurde vom 3. Juni bis 31. Juli 2016 im Museum Folkwang in Essen gezeigt. In zweiter Station folgt vom 17. November 2016 bis 12. Februar 2017 das Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg.